Evaluation und Nachhaltigkeit
16. September 2019, von Annika Trommeter
Foto: Thomas Mauersberg/Universität Bonn
Aus den Programmpunkten der 22. Jahrestagung der Gesellschaft für Evaluation e.V. ergaben sich wertvolle Anregungen für die wissenschaftliche Begleitung der Projektbereiche im Universitätskolleg.
Die 22. Jahrestagung der Gesellschaft für Evaluation e.V. (DeGEval) stand unter dem Motto „Evaluation und Nachhaltigkeit“. Das Thema Evaluation gewinnt zunehmend an gesamtgesellschaftlicher Relevanz, denn Evaluationen dienen immer häufiger als Grundlage für politische Entscheidungen. Auch die Nachhaltigkeitsdebatte ist in aller Munde – nicht zuletzt, weil es die Klimakrise zu lösen gilt. Dennoch wissen 50 Prozent der Bevölkerung nicht, was die SDGs (sustainable development goals der UN) sind. Mit diesen Feststellungen wurde die Relevanz des Leitthemas der Jahrestagung untermauert und die mehrtägige Konferenz in der 200 Jahre alten Universität Bonn eröffnet.
An der Universität Hamburg, die sich im Bewusstsein der gesellschaftspolitischen Verantwortung der Realisierung der SDGs verpflichtet hat und laut Leitbild als „Mittlerin zwischen Wissenschaft und Praxis, […] orientiert […] an den Grundsätzen einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung" versteht, kommt der Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit folglich eine besondere Bedeutung zu. Die verbindende „Leitidee Nachhaltigkeit“ wird wie folgt an der Universität Hamburg konkretisiert:
„Nachhaltigkeit gilt dabei als konzeptionelle Leitlinie für das Bestreben, die Gesellschaften der Gegenwart so zu gestalten, dass deren berechtigten Interessen entsprochen und zugleich ihr künftiger Entfaltungsspielraum gesichert und gestärkt werden kann. Für die Universität Hamburg geht es in diesem Zusammenhang um ihren eigenen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Gestaltung der Gesellschaft und zum verantwortungsvollen Umgang mit Gemeingütern („commons“). Dazu gehört auch ein reflektierter Umgang mit der eigenen Forschung und Lehre, der deren gesellschaftlicher Einbindung Rechnung trägt, ohne das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit einzuschränken.“
Wie können Bildungsinnovationen nachhaltig evaluiert werden?
Mit dieser Verantwortung ergibt sich − auch ganz besonders für die Wirksamkeitsanalyse des Universitätskollegs − eine spezifische Herausforderung: Wie können Bildungsinnovationen nachhaltig evaluiert werden? Ist es überhaupt möglich, ein solch qualitativ-inhaltsvolles Nachhaltigkeitsverständnis zu evaluieren, oder ist dies ein Widerspruch in sich? Wird durch die evaluatorische Begleitung der Projektbereiche am Universitätskolleg ein Beitrag zu einer Auseinandersetzung mit der nachhaltigen Entwicklung (in dem skizzierten Verständnis) von Studium und Lehre geleistet? Was genau bedeutet nachhaltige Evaluation von Nachhaltigkeit?
Diese und ähnliche Fragestellungen wurden in verschiedenen Sessions, wie bspw. „Nachhaltigkeit durch Forschung über Evaluation“, „Nachhaltiges Qualitätsmanagement an Hochschulen“, „Metaevaluation der Nachhaltigkeit von Projekten“ oder auch „Der ganzheitliche Anspruch der Agenda 2030 – Herausforderungen und Chancen für die Evaluierung von Nachhaltigkeit“, aufgegriffen und diskutiert. Dabei zog sich mehrheitlich ein tendenziell formales Nachhaltigkeitsverständnis im Sinne der Dauerhaftigkeit und Verstetigung durch die Tagung, obgleich auch das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung der Enquete-Kommission (welches die soziale, ökologische und ökonomische Dimension umfasst) gelegentlich von Teilnehmenden aufgerufen wurde. In diesem Zusammenhang konnte kontrovers diskutiert werden, dass „Dauerhaftigkeit“ einfacher auf einzelne Kriterien herunterzubrechen ist, einfacher zu quantifizieren und damit einfacher zu evaluieren – aber nicht zwangsläufig mit Nachhaltigkeit gleichzusetzen ist.
Nachhaltigkeit im Sinne der eingangs zitierten Leitidee der Universität Hamburg zu evaluieren, müsste im ersten Schritt wohl bedeuten, entsprechende qualitative Nachhaltigkeitsindikatoren für den jeweiligen Evaluationsgegenstand herauszuarbeiten. Zudem kann nicht jede Evaluation als nachhaltig bezeichnet werden. Vielmehr hängt dies vom Ziel bzw. Zweck ebenjener ab. Insbesondere Evaluationen mit Entwicklungsfunktion können oftmals als nachhaltig bezeichnet werden.
Nachhaltige Evaluation bedarf umfassender Akzeptanz
Die tatsächlich nachhaltige Evaluation von Nachhaltigkeit ist daher ein komplexes und aufwendiges Unterfangen. Hinzu kommt: Wenn Projekte und ihre Wirkungsmodelle (die Wirkungspfade auf Basis theoretischer Überlegungen abbilden) auf Nachhaltigkeit nachhaltig evaluiert werden sollen, bedeutet dies i. d. R., einen partizipativen Evaluationsansatz umzusetzen (unmittelbar Beteiligte und Evaluierende arbeiten gemeinsam an der Evaluation) und eine Ex-post-Evaluation (Evaluation mit Fokus auf die nachträgliche Analyse) in das Evaluationsdesign einzubinden. Eine solche Herangehensweise erfordert, neben materiellen und personellen Ressourcen, auch die Akzeptanz der beteiligten Akteurinnen und Akteure dahingehend, Evaluationen als Unterstützung zur tatsächlich nachhaltigen Weiterentwicklung des Evaluationsgegenstandes anzuerkennen.
Wohl auch deswegen wurde auf der Jahrestagung aus soziologischer Perspektive betont: „Der Kern von Evaluation ist der soziale Prozess des Bewertet-Werdens.“ Durchaus aufgehoben ist diese These – und damit auch ein nachhaltiger Evaluationsansatz – in dem auf der Tagung vorgestellten „Marburger Modell“, ebenso entwickelt bzw. umgesetzt im Rahmen einer Förderung des Qualitätspakts Lehre (QPL). Das Marburger Modell leitet sich aus einem partizipativen Evaluationsansatz nach Stockmann (u. a. 2006) ab, und durch die Phase der sogenannten Nachsorge im Evaluationsprozess wird eine nachgelagerte Auswertung ermöglicht. Schnittmengen zu dem Evaluationsansatz des Universitätskollegs finden sich nicht nur in diesen Aspekten, sondern auch im freiwilligen Charakter der Evaluationen, in der Orientierung am student life cycle oder in einem breiten Portfolio an Evaluationsinstrumenten. Bereichernd war die Diskussion über die Zielorientierung von Evaluationen mit den Kolleginnen und Kollegen der Phillipps-Universität Marburg hinsichtlich der unterschiedlichen Ansätze: Während im Universitätskolleg zuvor festgelegte Ziele als Ausgangspunkt für die Evaluation genutzt werden, verstehen die Kolleginnen und Kollegen in Marburg eher den Weg als das Ziel. Evaluationsziele ergeben sich nach diesem Ansatz ggf. erst aus der Evaluation selbst. Eine weitere theoretische Beschäftigung in der Wirksamkeitsanalyse des Universitätskollegs mit dem Evaluationsansatz aus Marburg ist sicherlich nicht nur mit Blick auf die formative, sondern auch auf die summative Entwicklung der Projektbereiche bzw. des Gesamt-Universitätskollegs gewinnbringend.
Was bedeutet Qualität im Hochschulkontext?
Wenn Nachhaltigkeit als qualitative Dimension verstanden wird, kommt die Frage danach auf, was Qualität überhaupt bedeutet. Auch dieser Aspekt wurde kontrovers auf der Bonner Tagung beraten. Im Hochschulkontext ergibt sich die spezielle Notwendigkeit, Lehr- und Studienqualität zu definieren und anhand dessen nachhaltige wissenschaftliche Begleitung und Evaluationen umzusetzen. Damit haben sich Kolleginnen und Kollegen der TU Dresden intensiv beschäftigt. Ihr Qualitätsentwicklungsanspruch als Evaluierende fußt auf der theoretischen Annahme, dass Qualität keine objektive Größe ist, sondern ein soziales Konstrukt. Damit ist Qualität weder statisch noch determiniert und nicht ausschließlich in quantitativen Kriterien abbildbar. Gemeint ist allerdings keine Beliebigkeit hinsichtlich der Auslegung des Qualitätsbegriffs, sondern vielmehr ein Verständnis von Qualität als kollektiver Prozess. Dies findet nach These der Referierenden aus Dresden Ausdruck in einer spezifischen Qualitätskultur, gefasst als Summe der gemeinsam geteilten Vorstellungen dessen, was Qualität ist. Der aus diesen Annahmen abgeleitete Evaluationszyklus basiert vor allem auf der Einbindung aller Beteiligten und auf der Beförderung von Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren.
Auch diese Überlegungen können hilfreich für eine Weiterentwicklung des nachhaltigen, partizipativen Evaluationsansatzes der Wirksamkeitsanalyse am Universitätskolleg sein. Ein Zusammendenken dieses Ansatzes mit dem klar gefassten Ziel von Lehre, Bildung und Forschung „zur Entwicklung einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft“ (Leitbild Universität Hamburg) oder zu „dem Wohl der Menschen und der Erfüllung öffentlicher und gesellschaftlicher Aufgaben“ (ebd.) als Maßstab könnte dazu beitragen, neue Impulse für die Weiterentwicklung des Evaluationszyklus der Wirksamkeitsanalyse im Universitätskolleg zu geben. Dieser berücksichtigt bisher die gemeinsame Entwicklung einer Qualitätskultur i. w. S. primär im ersten Schritt der Zielfindung. Auch mit Blick auf eine tatsächlich nachhaltige Fortsetzung der Bildungsinnovationen des Universitätskollegs nach dem Ende der zweiten Förderperiode des QPL Ende 2020 ist dieser Ansatz von Interesse.
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Das Team der Wirksamkeitsanalyse begleitet die einzelnen Projektbereiche des Universitätskollegs durch einen partizipativen Evaluationsansatz wissenschaftlich bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Bildungsinnovationen. Für Anmerkungen und Rückfragen melden Sie sich gern bei Annika.Trommeter@uni-hamburg.de(annika.trommeter"AT"uni-hamburg.de)