Vernetzung – einfach nur miteinander reden?
15. Oktober 2018, von Manuela Kenter und Christian Kreitschmann
Foto: UHH/UK
Dialoge anregen, Perspektivwechsel auslösen, Vielseitigkeit erfahren, Schnittstellen bilden: Ein Bericht über die erste Fachtagung 2018 der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg
Angelehnt an Paul Watzlawicks These: „Man kann nicht nicht vernetzen“, fanden sich Anfang September 2018 Mitarbeitende von „Qualitätspakt Lehre“-Projekten, im Third Space an Hochschulen Tätige sowie Lehrende und Studierende aus allen Teilen Deutschlands zum Tagungsthema „Hochschule auf Zukunftskurs – Vernetzte Strukturen für die Qualitätsentwicklung in Studium und Lehre“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg ein.
Was bedeutet Hochschule auf Zukunftskurs? Was verbinden wir mit vernetzten Strukturen, Dialog, Perspektivwechsel und Schnittstellen? Mit dieser Fragestellung konfrontierten Sabine Rasch (HAW) und Ivo van den Berk (Hochschule Emden/Leer) die Besucherinnen und Besucher der Tagung gleich zu Beginn – und brachten sie damit direkt selbst in die Vernetzung zur gemeinsamen Beantwortung dieser Fragen. Die daraus entstandenen Poster zeigten nicht nur einen vielfältigen Umgang mit der Aufgabe, sondern auch die unterschiedlichen Perspektiven auf die Kernthemen der Fachtagung und boten den Teilnehmenden so zahlreiche Anknüpfungspunkte für anschließendem Austausch und Diskussion.
Vorhandene Strukturen für die Qualitätsentwicklung vernetzen und damit neue Räume zu entwickeln, alle zu Beteiligten zu machen und eine gemeinsame Sprache zu sprechen ist Ziel vieler Hochschulen und wurde auch im Dialog zum Leitbild guter Lehre an der Universität Hamburg praktiziert. Mit einem gemeinsamen Bild hört der Dialog aber nicht auf. Der Wechsel der Perspektive, Vielseitigkeit und Schnittstellen unterstützen uns, die gewohnten Muster zu durchbrechen, Leitbilder in gelebte Alltagspraxis zu bringen und einen Kulturwandel anzustoßen. Die Fachtagung der HAW zeigt an eigenen und Beispielen anderer Hochschulen, wohin der Zukunftskurs von Hochschulen gehen kann.
Netzwerke erfolgreich nutzen
Welche Kompetenzen sind für mein Projekt erforderlich? Wo liegen meine Aufgabenschwerpunkte? Was erwarten Auftraggeber oder Projektträger von mir? Fragestellungen wie diesen gingen die Teilnehmenden im Workshop von Dr. Christian Magnus von der Heidelberg School of Education nach. Auf der Suche nach dem „idealen“ Kompetenzprofil zeigte sich, dass Kompetenzbereiche wie Selbstorganisation, sozial-kommunikative Kompetenz und Transferkompetenz in der Selbsteinschätzung bei fast allen Teilnehmenden einen hohen Stellenwert einnehmen. Aber auch fachliche Kompetenzen, Zusatzqualifikationen und allgemein kognitive Kompetenzen haben durchaus ihren Stellenwert und sind, so stellte es sich in der Gruppendiskussion heraus, für das Gelingen eines Gesamtprojektes unabdingbar. Die genannten Kompetenzbereiche werden aus dem persönlichen Blickwinkel unterschiedlich gewichtet, sollten sich aber (möglichst) im Team ergänzen und durch eine gute Führung optimal genutzt werden. Daher sollte es Aufgabe einer Projektleitung sein, gemessen an den Aufgaben und Anforderungen im Projekt, den entsprechenden Kompetenzbedarf zu ermitteln und anlassbezogen zu nutzen. Die in ihren Projektzielen sehr heterogenen „Qualitätspakt Lehre“-Projekte haben ein hohes Maß an sozialer und organisatorischer Komplexität. Die Entstehung zahlreicher Schnittstellen durch die projektinterne Vernetzung und Koordination, die Implementation in die bestehenden Strukturen der Hochschule und die Legitimation gegenüber der Hochschule und nach außen eröffnen vielfältige Handlungsspielräume. Diese sollten vom Gesamtprojekt erfolgreich genutzt werden, damit die Verankerung des Gesamtprojektes im „lose gekoppelten System der Hochschule“ (Zitat: Dr. Markus Seyfried, Universität Potsdam, Keynote Speaker) sicht- und spürbar ist. Wo derartige Schnittstellen zu finden sind und wie sie genutzt werden können, soll im Folgenden an drei Beispielen gezeigt werden, die in den Workshops der Veranstaltung vorgestellt und diskutiert wurden.
Lehrende vernetzen
Nicht nur aus Sicht des Lehrlabors liegt der Fokus zur Verbesserung von Lehre und Studium auf den Lehrenden einer Hochschule, damit gerade die eigentliche Zielgruppe des „Qualitätspakts Lehre“ – die Studierenden – von diesem profitieren können. Ein fächer- und fakultätsübergreifender Austausch ist eines der klar formulierten Ziele der HAW in der Förderung einer studierendenzentrierten Lehr- und Lernkultur. Dazu gehören weiterhin Offenheit, Wertschätzung und die Möglichkeit, Feedback zu geben und zu erhalten. Lehrende erwarten Unterstützung in der Entwicklung ihrer Rolle im Hochschulalltag und bei der Bewältigung der gestellten Anforderungen. Lehrende möchten aber auch die Qualität ihrer Lehre reflektieren und ihre Kompetenzen erweitern können. Bestehende und neu entwickelte Angebote der Arbeitsstelle für Studium und Didaktik an der HAW nehmen diese Ziele und Bedarfe mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf. So unterstützt eine „offene Werkstatt“ den Prozess der Produktion (… des Machens) und baut damit Hemmnisse beim Start der Umsetzung von Lehrvorhaben ab. Das „Teamcoaching der HAW“ fördert den kollegialen Austausch, bearbeitet konkrete Fälle und gibt durch den Umfang von acht Terminen innerhalb von zwei Semestern Verbindlichkeit und Kontinuität. Größere, jährlich stattfindende „Netzwerktreffen“ stehen demgegenüber eher in der Funktion des Impulsgebers und der Würdigung von guter Lehre. Die Verknüpfung dieser bestehenden Angebote mit den Lehrenden der HOOU@HAW führt gemeinsame Interessen zusammen und bringt einen Mehrwert für beide Seiten. Der geschützte und strukturierte Rahmen für die Auseinandersetzung mit Fragen und Stolpersteinen im Kontext Lehre gibt den Lehrenden der HOOU-Projekte die positive Erfahrung, dass man mit seinen Problemen nicht allein ist. Dies erleichtert es den Lehrenden, am Thema dranzubleiben und sich im kollegialen Austausch weiterzuentwickeln. Die Diskussion zu Potenzialen und Knackpunkten der vorgestellten Formate mit Dr. Kaja Heitmann und Ellen Pflaum (beide HAW Hamburg) und den Workshop-Teilnehmenden spiegelten die Erfahrungen des Lehrlabors des Universitätskollegs mit den Schwierigkeiten einer dauerhaften Vernetzung von Lehrenden wider. Die Zusammenarbeit zwischen den Lehrenden besteht, nahezu unabhängig von der Intensität des Formats, oftmals nur für die Dauer der Veranstaltung. Ein darüber hinausgehender Austausch ist schwierig. Das gemeinsame Lösen von Problemen im kollegialen Austausch hängt sich schnell an den Input von Expertinnen und Experten oder an den Wunsch nach einer Expertin bzw. einem Experten. Daraus erklärt sich auch, dass eine Teilnahme an Austauschformaten und Vernetzungsangeboten oft nur durch einen akuten Anlass erfolgt bzw. die eigentlichen Ziele der Formate schnell mit „einfach miteinander reden“ verwechselt werden. Der Workshop gab hier sicherlich die Möglichkeit, Vernetzungsformate anderer Hochschulen kennenzulernen, zeigte aber auch deutlich, dass der Weg zu einem dauerhaften und selbst organisierten Austausch zwischen Lehrenden noch lang ist.
Digitale Vernetzung
Auf die Bedeutung des Aufbaus von Netzwerken zur Bündelung von Kompetenzen wies Prof. Dr. Thomas Druyen von der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien Paris in seiner Keynote zu Beginn der Veranstaltung hin. Ein Bereich, in dem Netzwerke und der Wunsch von Lehrenden nach Expertinnen und Experten stets sehr deutlich werden und letztlich auch unabdingbar sind, ist die Digitalisierung in der Lehre. Netzwerkstrukturen und Good-Practice-Beispiele wurden von Dr. Yildiray Ogurol und Martina Salm vom Zentrum für Multimedia in der Lehre (ZMML) der Universität Bremen sowie Corinna Peters und Claudia Vogeler von der Arbeitsstelle für Studium und Didaktik an der HAW vorgestellt und diskutiert. Die lang gewachsenen und verstetigten Strukturen bieten den Lehrenden an der Universität Bremen ein fundiertes und umfassendes Angebot in den Bereichen Mediendidaktische Beratung, E-Assessment, Lehr-/Lernunterstützung und Media Services (https://www.uni-bremen.de/zmml/kompetenzbereiche/). Die dort gewachsenen und erfolgreich etablierten Strukturen zeigen auf, dass es sich lohnt, in die langfristige Entwicklung von Servicestrukturen für die Lehre zu investieren und neben der Digitalisierung die Didaktik nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Rolle der Didaktik beim Einsatz von Medien hat in der Digitalisierung der Lehre einen wichtigen Anteil. Sie ist in Bremen fester Bestandteil der Beratung Lehrender und auch ein durch das ZMML vertretenes Thema auf Ebene der Studiendekaninnen und -dekane. Sich hier als Partner der Lehrenden zu verstehen, nicht nur als Servicedienstleister, scheint sich dabei bewährt zu haben. Lehrende spielen als Multiplikatoren für gute Lehre eine wichtige Rolle, da sie ihre Kolleginnen und Kollegen ganz anders erreichen und die Akzeptanz für Neues ebenfalls befördern können. Die dabei erfahrene Wertschätzung der eigenen Lehre ist hierbei motivierend und insgesamt innovationsfördernd. Die Studierenden spielen eine wichtige Rolle als Feedback-Geber und eigentliche Zielgruppe von Lehre, Innovationen und Services. Zwei schöne Beispiele sind die über die zentrale Lernplattform buchbaren, multimedial ausgestatteten Lernräume für Studierende und auch das Projekt „Win a Tutor“: Studentische Tutorinnen und Tutoren werden hier selbst zu Ideengebern und Unterstützern von Lehrenden. Auf diese Weise werden das Potenzial und die Perspektiven Studierender genutzt, deren Qualifikation – auch für den späteren Berufsweg – erweitert und der Stellenwert guter Lehre befördert. Die Vertreterinnen und Vertreter der HAW zeigten u. a. aufgrund einer geringeren Personalausstattung eine andere Situation vor Ort und konnten gemeinsam mit den Teilnehmenden von den Erfahrungen der Universität Bremen profitieren. Auf einem sehr verteilten Campus mit eher dezentralen Strukturen ist es erforderlich, den Kontakt zu Fakultäten, Einrichtungen und Lehrenden proaktiv aufzunehmen und auszubauen. Eine Arbeit, die viel Kommunikation erfordert, sich aber langfristig lohnt. Auf dezentraler Ebene werden die Lehrenden durch von den Fakultäten eingesetzte eLearning-Beraterinnen und Berater unterstützt, die teils durch Studierende oder als Nebenaufgabe von wissenschaftlichen Mitarbeitenden gestellt werden. In der Reflexion der didaktischen und medientechnischen Aufstellung beider Institutionen zeigte die abschließende Diskussion (dokumentiert im Etherpad), dass eine gute Balance zwischen dezentral und zentral, zwischen Technik und Didaktik gefunden werden sollte, um idealerweise das Beste beider Welten zu verbinden. Zentrale Services, Strukturen sowie Ansprechpartnerinnen und -partner sind wichtig, um Dienste bündeln, Innovationen verstetigen und den Kontakt mit Entscheiderinnen und Entscheidern herstellen und halten zu können – die individuelle Beratung und Unterstützung Lehrender, die Einbeziehung Studierender und die Vernetzung von Lehrenden untereinander sollten jedoch immer mitgedacht werden. Eine Nähe zu den Fakultäten, ihren Lehrenden und auch den jeweiligen Fachkulturen ist hier eindeutig von Gewinn, der reflektierte Einsatz von eLearning dabei ein wichtiger Faktor für Authentizität und Glaubwürdigkeit in der Lehre – auch gegenüber den Studierenden.
Vernetzte Lehre
Die aktive Einbindung Studierender in die Lehre zeigte Dr. Susanne Draheim mit der Vorstellung des durch BWVI und den Zukunftsfonds der HAW geförderten Forschungs- und Transferlabors „Creative Space for Technical Innovations (CSTI)“. Das Labor wird von Studierenden der Informatik genutzt, die dort mit neuesten Technologien (Virtual und Augmented Reality, Machine Learning, Data Mining, Smart Objects und User Interfaces) experimentieren können, wobei auch die kritische Auseinandersetzung mit diesen Technologien mitgedacht werden soll. Auf Basis des Konzepts des „Forschenden Lernens“ als einem Kernelement des Projektes und unter Einsatz kreativer und für die Studierenden anregender Methoden wie „Design Fiction“ und „Critical Design“ werden Studierende von Lehrenden und Mitarbeitenden des CSTI bei Studien- und Abschlussarbeiten oder Forschungsprojekten begleitet und dabei die Kooperation und Vernetzung mit Unternehmen angeregt. Ziel des Projektes ist es, sich dauerhaft in der Organisation der Hochschule zu implementieren und damit langfristig den Studierenden des Fachbereichs als ein Ort für Innovation, Spielen, Gründen und Experimentieren zur Verfügung zu stehen.
Resümee und Ausblick
Die HAW hat sich für eine dialogorientierte Qualitätsentwicklung in Studium und Lehre entschieden und zeigte es an vielen Beispielen auf der Fachtagung. Frau Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals, Vizepräsidentin für Studium und Lehre der HAW, stellt es zu Beginn der Tagung als kommunikativen Multidialog vor. Ziel ist es, die Vielfältigkeit der HAW-Mitarbeitenden in den verschiedenen Dimensionen zu vernetzen und damit in den Dialog über den Zukunftskurs in Studium und Lehre zu bringen. Gemeinsam liegt in ihrer Verantwortung das Gelingen der circa 70 Studiengänge. Frau Bessenrodt-Weberpals spricht von einer aktiven Community an der HAW, die den qualitativen Kulturwandel in Studium und Lehre in Gang gebracht hat und dazu in den Dialog und die Vernetzung zu anderen Hochschulen tritt. Die Darstellung von Lösungsansätzen in der Vernetzung von Lehrenden, der Digitalisierung von Lehre und Aktivierung von Studierenden, aber auch der erfolgreichen Verknüpfung und Stärkung von Kompetenzen im Team und der Schaffung von Schnittstellen in der eigenen Hochschule hat dem Team des Lehrlabors und der Wirksamkeitsanalyse des Universitätskollegs wertvolle Impulse für die weitere Arbeit gegeben. Durch unsere intensive Zusammenarbeit konnten wir bereits die eigenen Angebote für Lehrende passgenauer entwickeln. Aspekte der Zusammenarbeit und den Mehrwert für beide Teams zeigt das auf der Tagung präsentierte Poster zur „Doppelten Qualitätsentwicklung“. Da die Vernetzung innerhalb des Gesamtprojektes Universitätskolleg, aber auch die Verankerung in der Universität Hamburg mit Schnittstellen zu den Fakultäten, in den Bereichen eLearning, Hochschuldidaktik und darüber hinaus für das Lehrlabor nachgewiesen wichtige Erfolgsbausteine des Projektes sind, werden für das Team des Lehrlabors das Anregen von Dialogen, der Wechsel von Perspektiven und die Bildung von Schnittstellen weiterhin Aufgaben mit hoher Priorität sein.
Potenzial für eine weitere Vernetzung zeigen die vorgestellten und zahlreiche weitere Beispiele der Workshops dieser Veranstaltung.
Hochschule auf Zukunftskurs − Vernetzte Strukturen für die Qualitätsentwicklung in Studium und Lehre